Neues Jahr – Neues Glück
Das Neue Jahr ist bald da! Und mit ihm ein neuer Versuch all die Laster loszuwerden, die uns die vergangenen Monate und Jahre begleitet haben. Sei es weniger Alkohol zu trinken, das Rauchen aufzugeben, kein Fleisch mehr zu essen, 5kg abzunehmen oder mehr Sport zu treiben, das Neujahr wird dazu genutzt, die sich selbst auferlegten Ziele (mal wieder) zu befolgen. Blauäugig – in dem Glauben all das verändern zu können was wir uns vorgenommen haben – starten wir motiviert in das neue Jahr. Am 1.1. (noch) essen wir gesünder, rauchen und trinken weniger und überwinden sogar den inneren Schweinehund und gehen zum Sport…
Das Problem mit der Motivation
Leider ist unsere Motivation meist von kurzer Dauer und wir scheitern an den mit der Veränderung verbundenen Mühen. Alle Jahre wieder fallen wir zurück in alte Muster und verstärken diese dadurch noch zusätzlich. Dabei würde uns der gute Vorsatz ‚jeden Tag 10 Minuten Yoga praktizieren’ enorm dazu verhelfen auch unsere anderen guten Vorsätze zu befolgen.
Warum ist das Befolgen guter Vorsätze so schwer?
Es sind unsere alten, eingefahrenen Muster und Verhaltensweisen die es uns erschweren, das zu tun waswir wirklich wollen. Über viele Jahre hat sich die Art und Weise wie wir denken, reagieren und handeln tief in unseren Gehirnen verankert. Je öfter ein Gedanke gedacht oder eine Aktion vollzogen wird, umso tiefer ist die Spur, die es in unserem Gehirn hinterlässt. Eine Umkehrung – immer schwieriger.
Haben wir beispielsweise über viele Jahre gelernt morgens beim Kaffee eine Zigarette zu rauchen, wird unsere Psyche aus Gewohnheit automatisch bei Kaffeegeruch nach Zigaretten verlangen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die ständige Wiederholung von Gedanken, Reaktionen und Handlungen früher oder später verselbstständigt und ohne das Zutun des Bewusstseins erfolgt. Unser Körper und unsere Psyche sind konditioniert genauso und nicht anders zu handeln. Egal wie groß unser Vorsatz ist etwas in unserem Leben zu verändern, die Erfahrungen und Handlungen der Vergangenheit erschweren, ob wir wollen oder nicht, das Befolgen unserer Ziele und werfen uns immer wieder in alte Verhaltensweisen zurück.
Yoga erleichtert die Veränderung
Nach Patañjali wurden diese Konditionierungen (automatische Reaktionen auf innere und äußere Reize) im Verlauf mehrerer Leben erworben und wirken als Kleshas (innere Spannungen, die menschliches Leid verursachen) bis in das Heute hinein. Sie führen dazu, dass wir immer wieder in alte Verhaltensweisen verfallen und unsere Fehler wiederholen. Um den Einfluss der Kleshas zu überwinden beschreibt Patañjali den achtgliedrigen Pfad. Die Yoga-Sūtra, so die Intention Patañjalis, sollen die Menschen durch handelbare Leitlinien aus den leidvollen, inneren Spannungen herausführen, so dass eine wahre innere Freiheit und Freude möglich wird.
Unser Geist ist wandelbar!
Der Yoga geht davon aus, dass der menschliche Geist immer und zu allen Zeiten, unabhängig von äußeren Umständen, das Potential zur Veränderung bietet. Und genauso verhält es sich. Das hat auch die moderne Neuropsychologie erkannt: Das menschliche Gehirn ist bis ins hohe Alter neuroplastisch! Das bedeutet, dass wir zu jeder Zeit in der Lage sind Neues zu erlernen und alte Muster und Gewohnheiten fallen zu lassen. Und genau dabei bietet uns der Yoga eine große Stütze.
Durchhaltevermögen stärken – durch Yoga
Das geschieht vor allem dadurch, dass der Yoga unsere hirninternen Prozesse positiv beeinflusst. Er fördert (u. A.) die Ausschüttung von Serotonin und Dopamin und führt langfristig dazu, dass neue, mit positiven Empfindungen und Erfahrungen verknüpfte neuronale Verbindungen in unseren Gehirnen entstehen können. Das wiederrum macht sich sowohl in unserer Stimmung als auch in unserer Motivation und unserem Verhalten bemerkbar. Die positiven Erfahrungen mit und in uns selbst verhelfen langfristig dazu, dass wir selbstbestimmter, bewusster und zielgerichteter werden und das tun, was wir wirklich wollen. Nur so können alte Denk- und Handlungsweisen langfristig durch neue ersetzt werden.
Innere Wandlung durch Yoga
Der Yoga setzt in unserem Inneren an. Er verändert unsere emotionalen und körperlichen Reaktionen auf äußere Umstände und führt dazu, dass Verhaltens- und Reaktionsweisen, die uns schaden (zum Beispiel das Greifen zur Zigarette beim Kaffeegeruch) langfristig „stillgelegt“ werden können. Dabei gilt: Je stärker und positiver die Erfahrung und je regelmäßiger die Übung umso leichter etablieren sich die neuen neuronalen Verbindungen in unserem Gehirn. Die Folge: Immer besser werden wir in der Lage sein unsere Emotionen zu kontrollieren, Rückschläge zu akzeptieren und unabhängig davon was geschieht weiterhin unseren eigenen Weg zu gehen… von Augenblick zu Augenblick…
Durchhalten – von Moment zu Moment
Yoga ist die Praxis der Gegenwärtigkeit. Das was zählt ist das Jetzt – der gegenwärtige Augenblick. Konzentrieren wir uns auf die Gegenwart, ist es einfacher unsere guten Vorsätze zu befolgen. Achten wir darauf von Augenblick zu Augenblick durchzuhalten und nicht über gestern und morgen nachdenken ist es auch wahrscheinlicher, dass wir von Moment zu Moment standhaft bleiben. Das Verbleiben in der Gegenwart allerdings bedarf einer stetigen Einübung der Achtsamkeit. Nur so wird uns bewusst wenn wir mal wieder innerlich „abschweifen“.
Ist es wirklich unser Wille?
Besonders anstrengend ist das Befolgen guter Vorsätze wenn die Motivation zur Veränderung nicht bei uns sondern bei unserem Partner oder unsere Familie liegt. „Hör doch endlich auf zu rauchen!“ oder „Nimm ab!“ sind nur einige Beispiele, wie unsere Lieben unser Verhalten beeinflussen wollen.
Unser Ego als die Ursache des Leidens
So verändern wir kurzfristig „das Außen“ und denken, dass uns weniger Zigaretten und ein schlankerer Körper tatsächlich mehr Glück und Zufriedenheit bescheren. Dass unser Partner uns mehr liebt wenn wir das tun was er/sie von uns verlangt… Unser Ego hechelt nach Bestätigung… „Du hast so schön abgenommen, Du rauchst nicht mehr? WOW!“, sagen die anderen… Kurzfristig fühlen wir uns geliebt, angenommen, stark und schön – Unser Ego bekommt Nahrung…
Dem Yoga zu Folge ist das Ego allerdings die Ursache allen Leides. Es „will“, oder „will nicht“, übt Druck aus, „erwartet“ und beurteilt. Werden seine materiellen und egogeprägten Wünsche nicht erfüllt leiden wir. Gleiches gilt für das Befolgen der sich selbst gegenüber auferlegten Ziele. Je mehr Druck wir oder andere auf uns ausüben umso unwahrscheinlicher wird es sein, dass uns die erwünschte Veränderung gelingt. Mit jedem Scheitern wiederrum werden wir unzufriedener.
Aufräumen „innen“ und „Außen“ – Klarheit schaffen durch Yoga
Eine wahre Veränderung ist keine spontane Sache. Sie erwächst ganz langsam, tief aus unserem Inneren heraus – durch die urteilsfreie ungetrübte Wahrnehmung von uns Selbst während unserer Yogapraxis. Nur durch die achtsame Beobachtung all dessen, was ist, wird uns ganz langsam und genau bewusst wer wir heute sind, was immer noch zu uns gehört und was wir nicht mehr in unserem Leben haben wollen.
Neues braucht Platz
Genau aus diesem Grund ist es auch so wichtig sich von Verhaltensweisen Sachen und Menschen zu lösen, die uns in unserer persönlichen Entwicklung behindern. Das Festhalten (im Yoga „Raga“ = Anhaftung/ Gier) führt zu Unzufriedenheit, verstärkt negative Emotionen und schürt Böswilligkeit, Hass und Zorn. Ein Kreislauf des Leidens bzw der Unzufriedenheit entsteht.
„Raga“ – Anhaftung und Gier als Ursache für das menschliche Leid / Unzufriedenheit
„Raga“ ist dem Yoga zu Folge eine der 5 Ursachen (Kleshas) für das menschliche Leid. Die Gier nach Vergnügen und das Streben nach der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse führt dazu, dass wir nicht „loslassen“ an guten und schlechten Vorlieben festhalten. Das Streben nach positiver emotionaler Erfahrung steuert unbewusst unsere Gedanken, die wiederrum das eigene Wollen und Handeln steuern. Wir erwarten, dass uns äußere Umstände Glück bescheren. „Wenn ich endlich das neue Auto, Haus, Handy… etc. habe, dann wird alles besser“. Erwartungen aber können fast immer nur enttäuscht werden. Sie machen uns langfristig immer unzufriedener und führen so zu noch mehr Leid.
„Raga“ – Anhaftung und Gier im Umgang mit den Anderen
Auch Freundschaften und Liebesbeziehungen, an denen wir anhaften, obwohl sie uns schon seit langem keine Befriedigung und Freude mehr schenken, verursachen Kummer und Leid. Wir wollen entweder, dass uns die anderen glücklich machen oder wir verbleiben aus Angewohnheit, Bequemlichkeit oder Angst vor ungewisser Zukunft in den destruktiven Beziehungsstrukturen.
„Ich hasse Dich – verlasse mich nicht“
Dabei hat das Verbleiben in ungesunden Beziehungskonstellationen besonders gravierende Folgen. Umgeben wir uns mit Menschen, die uns negativ beeinflussen und die immer wieder bewusst oder unbewusst alte Wunden aufbrechen und destruktive Muster aktivieren, wird es für uns fast unmöglich werden uns in eine positive Richtung zu verändern. Jeder einzelne Rückschlag wiederrum beeinflusst den Glauben an uns selbst und an unsere Fähigkeiten zu Veränderung negativ und verstärkt genau die neuronalen Bahnen in unserem Gehirn, die die unerwünschten Verhaltensweisen und Emotionen repräsentieren. Wir verbleiben in den negativen Denk- und Handlungsstrukturen, stagnieren und werden früher oder später genauso wie die Menschen, die uns umgeben. Nicht von ungefähr kommt das griechische Sprichwort: “Zeig mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist.”
Und trotzdem gehen wir nicht – wir bleiben, hoffen dass er oder sie sich „ändert“ und leiden weiter. Wir haben Angst vor dem Alleinsein – Angst uns zu „lösen“. Dabei ist Anhaftung aus Gewohnheit weder Freundschaft noch Liebe – es ist eine durch das Ego verursachte Anhaftung.
„Loslassen“ lernen durch Yoga
Das Gegenteil von Anhaftung an Materielles und an Beziehung ist folglich das „Loslassen“. Wie aber lasse ich etwas oder jemanden los das mich über Jahre hinweg begleitet hat?
Zu aller erst ist es wichtig innerhalb der Meditationspraxis zu begreifen, dass weder Materielles noch Bindung wahre Zufriedenheit und Freude bringen können. Beides sind äußere Faktoren, die nur kurzfristig „Linderung“ und positive Emotionen schaffen. Sich das einzugestehen ist nicht einfach und bedarf Mut und geistiger Offenheit. Immer wieder müssen wir uns innerhalb der Meditation in Frage zu stellen, neu definieren und neu kennenlernen. Nicht anzuhaften bedeutet auch Menschen, Situationen und Dinge so anzunehmen wie sie wirklich sind. Nur wenn wir es schaffen Anhaftung zu überwinden werden wir, der Yogaphilosophie zu Folge unser wahres Sein, Wissen und Glückseligkeit (Satchidananda) erfahren.
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Text von: Dr. Maria Wolke – Dr. der Psychologie, Yoga Lehrerin, Therapeutin und Autorin.